Schrödingers Wellenmechanik
Identische Teilchen und Mehrelektronenatome
Da Elektronen untereinander identisch (d.h. ununterscheidbar) sind, muss die Wellenfunktion eines Atoms mit mehr als einem Elektron besondere Bedingungen erfüllen. Das Problem der identischen Teilchen stellt sich in der klassischen Physik nicht, denn dort sind die Objekte großräumig und zumindest im Prinzip immer unterscheidbar. Zwei Elektronen im selben Atom sind jedoch nicht zu unterscheiden, und die Form der Wellenfunktion muss diese Tatsache widerspiegeln. Die Gesamtwellenfunktion Ψ eines Systems von identischen Teilchen hängt von den Koordinaten aller Teilchen ab. Werden die Koordinaten von zwei der Teilchen vertauscht, muss die Wellenfunktion unverändert bleiben oder höchstens einen Vorzeichenwechsel erfahren; der Vorzeichenwechsel ist erlaubt, weil in der physikalischen Interpretation der Wellenfunktion Ψ2 auftritt. Bleibt das Vorzeichen von Ψ unverändert, sagt man, die Wellenfunktion sei symmetrisch bezüglich des Austausches; wechselt das Vorzeichen, ist die Funktion antisymmetrisch.
Die Symmetrie der Wellenfunktion für gleiche Teilchen hängt eng mit dem Spin der Teilchen zusammen. In der Quantenfeldtheorie (siehe unten Quantenelektrodynamik) kann man zeigen, dass Teilchen mit halbzahligem Spin (1/2, 3/2, etc.) antisymmetrische Wellenfunktionen haben. Sie werden nach dem in Italien geborenen Physiker Enrico Fermi als Fermionen bezeichnet. Beispiele für Fermionen sind Elektronen, Protonen und Neutronen, die alle den Spin 1/2 haben. Teilchen mit null oder ganzzahligem Spin (z. B. Mesonen, Photonen) haben symmetrische Wellenfunktionen und werden Bosonen genannt, nach dem indischen Mathematiker und Physiker Satyendra Nath Bose, der die Idee der Symmetrie erstmals 1924-25 auf Photonen anwandte.
Die Forderung nach antisymmetrischen Wellenfunktionen für Fermionen führt zu einem fundamentalen Ergebnis, bekannt als Ausschlussprinzip, das erstmals 1925 von dem österreichischen Physiker Wolfgang Pauli vorgeschlagen wurde. Das Ausschlussprinzip besagt, dass sich zwei Fermionen im selben System nicht im selben Quantenzustand befinden können. Wären sie es doch, würde ein Vertauschen der beiden Koordinatensätze die Wellenfunktion überhaupt nicht verändern, was dem Ergebnis widerspricht, dass die Wellenfunktion das Vorzeichen wechseln muss. Das Ausschlussprinzip bildet die Grundlage für viele Eigenschaften der Materie, darunter die Periodensystematik der Elemente, die Natur chemischer Bindungen und das Verhalten von Elektronen in Festkörpern; letzteres bestimmt wiederum, ob ein Festkörper ein Metall, ein Isolator oder ein Halbleiter ist (siehe Atom; Materie).
Die Schrödingergleichung lässt sich für Atome mit mehr als einem Elektron nicht exakt lösen. Die Prinzipien der Berechnung sind gut verstanden, aber die Probleme werden durch die Anzahl der Teilchen und die Vielzahl der beteiligten Kräfte kompliziert. Zu den Kräften gehören die elektrostatischen Kräfte zwischen dem Kern und den Elektronen und zwischen den Elektronen selbst, sowie schwächere magnetische Kräfte, die aus den Spin- und Orbitalbewegungen der Elektronen entstehen. Trotz dieser Schwierigkeiten haben Näherungsmethoden, die von dem englischen Physiker Douglas R. Hartree, dem russischen Physiker Vladimir Fock und anderen in den 1920er und 1930er Jahren eingeführt wurden, beachtliche Erfolge erzielt. Solche Schemata gehen von der Annahme aus, dass sich jedes Elektron unabhängig vom Kern und den anderen Elektronen in einem durchschnittlichen elektrischen Feld bewegt, d.h. Korrelationen zwischen den Positionen der Elektronen werden ignoriert. Jedes Elektron hat seine eigene Wellenfunktion, genannt Orbital. Die Gesamtwellenfunktion für alle Elektronen im Atom erfüllt das Ausschlussprinzip. Es werden dann Korrekturen an den berechneten Energien vorgenommen, die von den Stärken der Elektron-Elektron-Korrelationen und den magnetischen Kräften abhängen.